Haltet durch, es wird noch lange dauern, sagt sie am Telefon. Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen, trifft mich wie der Blitz, so ein Life Changing Moment. Sie meint Corona und ich denke sie spricht von allem.
Ich hielt mich immer für unangepasst. Immer gegen oben, immer gegen Autoritäten, immer gegen die angepasste Masse. Schon in der Schule hab ich viel Scheiss gebaut und auch danach. Ich hab mich selten erwischen lassen und als die Polizei uns mal einkassierte, war es für etwas was ich nicht getan hatte. Wir waren gut 20 und hatten von einer Bar ein paar Tiki-Fackeln geklaut. Als der Streifenwagen vor uns bremste, dachten wir es ginge um die Fackeln und fanden übertrieben, dass sie uns deswegen gleich festnahmen. Auf dem Polizeiposten hatte ich die gloreiche Idee mich als Martin Wolfensberger aus Freiburg im Breisgau auszugeben. Ich hatte nichts dabei, was auf meine Idendität schliessen liess und dachte die Busse wegen der Fackeln können sie dann an eine falsche Adresse schicken. Ich sprach hochdeutsch mit den Schweizer Polizisten wie mein Kumpel, nur das dieser wirkich in Freiburg aufgewachsen war und erst seit einigen Jahren in der Schweiz lebte. Ich hab immer schon recht gut hochdeutsch sprechen können, ein Deutscher merkt es sofort, aber Schweizer fallen drauf rein. Die Polizisten verhörten uns mehr als zwei Stunden lang und wir mussten immer wieder erzählen, was wir an diesem Abend getan hatten. Irgendwann liessen sie uns gehen. Die Fackeln hatten sie nicht interessiert und die Bar hatte deren Diebstahl auch nicht gemeldet. Es war ein Roller angezündet worden und ausgebrannt und das nicht zum ersten Mal. Es gab anscheinend einen Pyroman in der Gegend, welcher gerne Fahrzeuge anzündete. Wenn die Polizei herausgefunden hätte, dass ich nicht Martin Wolfensberger bin, sondern Saile Klein, dann hätte es schlecht für mich ausgesehen. Ich meine so richtig schlecht.
Aber sonst haben wir als Jugendlich randaliert, gesprüht, geklaut und vieles mehr ohne je erwischt zu werden. Die Lehrer hielten wir für Idioten und die Erwachsenen für Arschlöcher und das mag pubertär sein, ich habe diese Haltung eigentlich nie ganz abgelegt. Auch an der Theaterschule hielt ich die meisten meiner Dozenten, Mitstudenten und Theatermacher für Vollpfosten. Im Behindertenberich wo ich schliesslich landete, weil kein Mensch bei Verstand und mit Selbstwürde die beschiessensten Arbeitsbedingungen beim Theater aktzeptieren kann, genauso.
Klar es gibt Leute die ich mag, aber die meisten sind angepasste Dummbatzen, die von der Welt weder besonders viel gesehen noch verstanden haben. Ich stehe in Distanz zu denen wie zur ganzen Gesellschaft, sonst würde ich es im konservativ ländlichen Tirol nicht aushalten., sonst hätte ich es im arroganten Koks-Zürich nie ausgehalten und auch nicht im todlangweiligen Aarau. Ich hatte es übrigens nie nötig, dass man mir das ansah, weil ich schon früh gelernt habe, dass die mit den farbigen Haaren und den wilden Tatoos oft die angepasstesten von allen sind. Ich habe inzwischen eine kleine Familie und lebe in einem Haus auf dem Land statt in einem Kollektiv oder ein Familienwg in der Stadt, weil es sowas hier fast überhaupt nicht gibt und wenn es sowas gibt, ist es so spiessig und voller Regeln, dass ich mich darin nie zurecht finden würde.
Trotz eines ziemlich hohen Mitteilungsbedürfnisses bin ich sehr gerne alleine. Wie gesagt das Wort heisst Distanz und ich dachte immer, ich bin damit, bis auf wenige Mitstreiter welche auch selber denken können, etwas so peinlich es klingen mag besonders. Dass ich Autos verbieten würde, Flugreisen ausser über die grossen Meere ebenso, ein anarchistischen Rätekommunismus mit offen Grenzen mir wünschen täte oder die Legalisierung aller Drogen, das alles hielt ich nicht nur für originell sonder auch etwas spezielles, Bratt Pitt Ansprache bei Fight Club hin oder her. Ich dachte, die meisten wollen halt im Mainstream mitschwimmen, passen ihre politische Haltunge dem Wirtschaftsumfeld an in dem sie leben (Kunst eher links, Wirtschaft eher liberal, Handwerk eher konservativ, usw.) gesellschaftliches Sein schafft Bewussstein quasi als Ersatz für Gesellschaft an sich. Wirklich radikal ausserhalb dieser Gemeinschaft kapitalistischer Menschen zu leben in besetzen Häusern oder auf autonomen Biobauernhöfen ist nichts anderes als Folklore. Man wird nicht entkommen und den Kampf kann man nicht gewinnen und nur wenige Eingeweihte wollen oder können ihn führen, so dachte ich lange.
Und jetzt plötzlich in dieser Krise ausgelöst duch Corona merke ich, spätestens und wäre ich nicht so selbstverliebt, wäre es mir schon früher aufgefallen, ich bin nicht allein, nein! Alle sind in innerer Oppostion. Niemand will mitmachen. Alle sehen sich in Distanz zum System. Alle haben nie irgendwo mitgemacht oder waren einverstanden sondern Alle wurden genauso gezwungen wie ich. Immer. Niemand hat wirklich eine Ahnung von irgendwas aber zu allem eine starke Meinung: Genau wie ich! Meine hyperindividualistischen Geisteshaltung unterscheidet sich durch nichts von der konservativen Einstellung meines Nachbarn, der ein Leben lang in einer Fabrik geschuftet hat. Was uns unterscheidet sind Kontostand und Gesundheitszustand. Sein Kontostand ist ganz ok, meiner schlecht, sein Körper ist nach Jahrzehnten Schwerstarbeit kaputt meiner noch ganz. Ich hätte sparen sollen und er hätte nicht den Deal machen sollen, dass er früher in eine bessere Pension darf, wenn er bis 58 drei Schichtenbetrieb arbeitet. Beides Opfer. Den Systemkräften ausgeliefert. Im inneren Widerstand. Wie alle.
Und weil wir alle nie wirklich mitmachen, nie dabei sind, ausser wenn gegen etwas geschimpft wird, weil das Distanz schafft, weil wir immer dahin wollen, wo alles besser war oder wird, aber nie dahin aufbrechen, geschweige denn wirklich dagewesen sind, ob man das Paradies, bessere Zukunft, zurechtgelegte Vergangenheit, Campingplatz am Meer für zwei Wochen oder Weltreise durch Afrika nennt, wird sich für uns auch nie etwas ändern, ausser das alles schlechter wird und gefährlicher und kaputter und wir sind vollkommen machtlos, so wie es ausschaut für immer.
Wir haben unsere Gefühle von angebrachter Panik und Depression getauscht für ein Leben in individueller Bequemlichkeit um es auzuhalten und sich etwas besser zu fühlen als jene, die diese Wahl nie hatten und für immer Panik und Depression ausgeliefert sein werden. Das ist keine Distanz, auch wenn es sich, weil man sonst nichts empfinden kann, so anfühlt, sondern Affirmation. Wir bildeten uns ein die Welt zu retten wenn wir auf Fleisch verzichten und Fahrrad fahren., hätten aber auch stattdessen unser Essen mit Holz zu würzen anfangen können. Der Effekt wäre der gleiche gewesen. Das Morden und das Brandschatzen ging wie immer erstmal wo anders weiter und weiter und langsam aber sicher kommt erst jetzt alles auf uns zurück. Das einzige was bleibt ist Hoffen auf bessere Zeiten, um die Welle welche schon lange gebrochen ist, nicht aus Meerwasser besteht, sondern aus radioaktiv versuechtem Mikroplastikschlamm, noch etwas länger zu reiten und zu verdrängen, dass sie auf uns zu rollt und wir nur vomr reiten träumen, dass wir verloren sind. Ich weiss es gibt ganz bestimmt eine Philsophie die diese Haltung benennt, das man glaubt alles ginge den Bach runter, deren Namen hab ich vergessen und diese Sehnsucht nach Apokalypse, ist auch wieder nur einen Flucht in besagte Pseudodisstanz, schon klar, aber darum geht es mir nicht. Es geht darum, dass wen man so lebt und lebte wie ich, so wie die meisten Mitteleuropäer, man es auch nicht merken würde, wenn nicht alles total im Arsch wäre. Die Leute wachen nicht auf wenn alles schlecht wird, sie werden einfach verrückt und ob alles schlechter wird, ist völlig wurst, sie werden sowieso verrückt, kein Wunder glaubt ein nicht kleiner Teil Corona sei bloss eingebildet, weil es auf perverse Art auch irgendwie stimmt. Haltet durch, es wir noch lange dauern!